Persönlichkeit - Selbstwertprobleme

Persönlichkeit - Selbstwertprobleme

Hintergrund

Jeder ist schon mal mit Selbstzweifeln in Berührung gekommen. Selbstzweifel können zum Beispiel bei der Arbeit, in der Beziehung und Liebe, bei der Erziehung der Kinder auftreten. Sie lösen innere Unsicherheit aus. Man fühlt sich gehemmt, schämt sich. Oft stellt man nicht nur seine Handlung, sondern sich selbst als ganze Person in Frage. Sätze wie „Ich bin dumm.“ oder „Ich bin nicht gut genug.“ sind Beispiele einer übermäßigen Selbstabwertung, die sich Menschen immer wieder selbst einreden.

Erstgespräch

Als Lisa M. (24 Jahre alt, Name geändert), in meine Praxis kam, blickte sie nachdenklich auf den Boden und sagte, dass sie nicht wüsste, wie es weitergehen solle. Momentan sei sie Auszubildende im dritten Lehrjahr zur Industriekauffrau. Sie habe auf Druck des Vaters diese Ausbildung begonnen, obwohl sie lieber erst einmal ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolviert hätte, um sich erstmal zu orientieren, was sie überhaupt beruflich machen wolle.

Ihr Vater bestünde jedoch darauf, weil sie nach der Ausbildung in seinem Betrieb arbeiten solle. Sie habe schon ein paar Versuche unternommen, auf ihren Vater zuzugehen, um ihm zu sagen, dass sie nach der Ausbildung erstmal für ein paar Monate ins Ausland wolle, um sich bei einem Naturschutzprojekt einer Organisation ehrenamtlich zu beteiligen und dass sie die Ausbildung eigentlich gar nicht interessiere. Aber bei jedem neuen Anlauf verließ sie ihr Mut. Sie beklagte sich, dass sie sich auch generell nicht durchsetzen könne.

Sie habe das Gefühl, nicht gut genug zu sein und allen, vor allem aber ihrem Vater gerecht werden zu müssen. Oft mache sie Überstunden und Mehrarbeit, um Lob und Anerkennung zu erhalten. Sie bekomme stattdessen nur Kritik von ihrem Vater. Oft müsse sie weinen, wenn ihr Vater sie wieder beschimpft. Sie glaube manchmal, dass sie unfähig sei ein eigenes Leben zu führen. Ihre Mutter sage immer, sie solle „nicht aufmucken, dann passiere auch nichts.“

Symptome / Anzeichen

Anzeichen, die auf einen Selbstwertmangel hindeuten, sind vielfältig und müssen nicht unbedingt einen Krankheitswert innehaben. Es kommt auf die persönliche Beeinträchtigung beziehungsweise den Leidensdruck des Betroffenen an.

Insbesondere tauchen Selbstwertprobleme im Zusammenhang mit anderen psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen oder Ängste auf. Ob eine psychische Erkrankung zugrunde liegt, wird vorher abgeklärt.

Beispielhafte Symptome

Ziel der Beratung

Lisa M. möchte erfahren und lernen wie sie es schafft sich gegenüber ihrem Vater durchzusetzen und nicht einschüchtern zu lassen. Auch möchte sie das Gefühl loswerden, ständig allen Ansprüchen gerecht werden und perfekt sein zu müssen.

Ihre extreme Schüchternheit führe auch dazu, dass sie kaum auf Menschen zugehen könne. Deshalb möchte sie gerne selbstbewusster und mutiger im Umgang mit anderen Menschen auftreten.

Weiteres Vorgehen (Auszug):

Lisa M. begann das subjektive Bild von der eigenen Person (das sogenannte Selbstkonzept) und der subjektiven Bewertung der eigenen Persönlichkeit aufzuarbeiten. Ihr wurde bewusst, wie sehr sich die zahlreichen Abwertungen und Beschimpfungen, die sie durch ihren Vater bereits in der Kindheit erfahren musste, in ihr manifestiert haben.

Mit Imaginationsübungen wurden Szenen aus ihrer Kindheit vorgestellt, in denen ihr Vater sie beschimpft und sie sich bloßgestellt fühlte. Die damit zusammenhängenden Gefühle, unerfüllte Bedürfnisse und Ängste wurden aufgearbeitet. Die frühere Situation wurde dann in der Vorstellung so verändert, dass sie sich besser, sich er und geborgen gefühlt hat.

Ich bin toll, so wie ich bin!

Ich begann mit Lisa neue positive Situationen aufzusuchen, um eine positive Verstärkung und neue Erfahrungen wie zum Beispiel Stolz, Freude, Glücklichsein zu ermöglichen.

Wichtige Botschaften, die ihr Selbstwertgefühl stärkten, wurde aufgeschrieben und verinnerlicht. Selbst gesteckte hohe Erwartungen an sich selbst wurden in Frage gestellt und durch neue, realistische ersetzt.

Der Zeitpunkt für ein Gespräch ist jetzt.

Lisa M. wollte den Mut fassen, mit ihrem Vater zu sprechen. Auf diesen Zeitpunkt wollte sie vorbereitet sein. Mit Übungen spielten wir daher ein Gesprächsszenario mit ihrem Vater auch mit offenem Schlagabtausch durch , in dem sie ihm verkünde, dass sie nach der Ausbildung ihren eigenen Weg gehen werde.

Ergebnisse

Lisa M. lernte ein Gefühl für sich selbst bzw. für den eigenen Wert zu entwickeln und sich so zu akzeptieren wie sie ist. Mit Übungen zum offenen Schlagabtausch sowie zu rechtgelegten Argumenten schaffte sie es schließlich, Mut zu fassen und dem Vater selbstsicher von ihrem Plan zu unterrichten.

Sie erzählte in der letzten Sitzung, dass sie sich stärker und selbstbewusster, irgendwie erwachsen fühle, seitdem sie sich aus den Fängen Ihres Vaters befreit habe Sie berichtete, dass die wichtigste Errungenschaft, die sie in der Therapie gemacht habe, die Distanzierung der permanenten Abwertung und Kritik durch ihren Vater wäre. Nun könne sie selbstbewusst ein eigenes Leben führen und wolle nun den nächsten Schritt gehen und nach Südamerika fahren, wo ein neuer Lebensabschnitt auf sie warte.

Weiterführender Tipp:

Ein hohes Selbstwertgefühl lässt uns nicht besser fühlen, macht uns aber resilienter. Ein interessanter (englischsprachiger) Beitrag von Guy Winch mit Tipps zur Stärkung des Selbstwertgefühls finden sie hier:

https://ideas.ted.com/5-ways-to-build-lasting-self-esteem/

Abschließendes Fazit

An sich selbst zweifeln ist menschlich und nicht per se schlecht oder pathologisch. Ganz im Gegenteil, Selbstzweifel können das Leben auch bereichern, denn sie können der Motor, der Antrieb für notwendige Veränderungen bzw. Weiterentwicklungen in Leben sein.

Neueste Studien belegen aber auch, dass ein geringes Selbstwertgefühl mit einem höheren Risiko verbunden ist, an einer Depression zu erkranken. Selbstwertmängel, die den Betroffenen in Leidensdruck ve rsetzen und das Leben beeinträchtigen, sollten daher näher analysiert werden.

Wichtiger Hinweis:

Dieser Fallabriss stellt nur eine abstrakte und grobe Veranschaulichung eines Beratungsablaufs dar und spiegelt nicht die ausführliche, vollständige und individuelle Beratung bei mir wider.

Er dient ausschließlich Ihrer Information und Orientierung und soll weder zur Selbstdiagnose noch zur Selbstbehandlung auffordern. Ähnlich gelagerte Fälle bei Ihnen sollten Sie daher nicht bei sich oder bei Dritten übertragen. Insbesondere ersetzen die Inhalte auf dieser Seite niemals eine individuelle fachlich qualifizierte Beratung.